Wenn Müßiggang wirklich der Anfang aller Laster ist, so befindet er sich also wenigstens in der nächsten Nähe aller Tugenden; der müssige Mensch ist immer noch ein besserer Mensch als der tätige. — Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches I

Wenn man versucht, seinen Mitmenschen die Idee eines Grundeinkommens oder gar einer Schenkungswirtschaft nahezubringen, ist das erste, was einem vorgehalten wird, stets der Einwand, jede solche neuartige Ökonomie, welche nicht auf Arbeitszwang beruhe, könne niemals gerecht sein, weil sie Menschen dazu befähige, „auf Kosten der anderen“ zu leben, d.h. sich von einem Grundeinkommen zu ernähren und von ihm zu profitieren, ohne eine Gegenleistung zu erbringen.

Keine Leistung ohne Gegenleistung? Aber was ist eigentlich eine „Leistung“?

Zunächst einmal finde ich es kurios, daß Gerechtigkeit, hier: die Berechtigung zur Nutzung der gemeinschaftlichen Dienste, zuallererst darüber definiert wird, was ein Mensch an Arbeit leistet. Ist ein Menschenleben denn nicht von sich aus schon wertvoll genug, daß eine würdevolle Behandlung ihm zustünde? Gibt es nicht darüberhinaus wesentlich wichtigere Eigenschaften eines Menschen als die des Fleißes, wie Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Genügsamkeit und Friedlichkeit? Ich für meinen Teil kann die meisten allzu eifrigen Menschen jedenfalls nicht leiden — das freilich nicht aufgrund ihres Eifers, aber doch aufgrund der Eigenschaften, die erfahrungsgemäß mit Eifer einherzugehen pflegen wie Selbstgerechtigkeit, Hochnäsigkeit ob der eigenen errungenen oder angestrebten Erfolge, Engstirnigkeit, unkritischer Konformismus und die Verachtung alles und aller Andersartigen, welches und welche nicht in ihr Weltbild von der Brave New World passen, in der jeder Bettler und jeder Mensch beliebiger geistiger, körperlicher und sozialer Prägung zum Millionär werden kann, wenn er sich nur genug anstrengt. (Darauf, daß ein solches Weltbild völlig an der Realität vorbei geht, will ich heute gar nicht eingehen, ich setze es vielmehr als offensichtlich voraus.)

Doch selbst, wenn wir so täten, als gäbe es ein gottgegebenes Gesetz, das uns vorschreibt, jeder müsse für eine in Anspruch genommene Leistung auch eine entsprechende Gegenleistung erbringen — selbst, wenn wir das Leistungsprinzip also als Axiom unseres Wertesystems festschreiben — kann ich nicht nachvollziehen, inwiefern ein freieres System weniger erstrebenswert wäre als das unsrige. Sehen wir uns die Situation in unserem real existierenden kapitalistischen System doch einmal nüchtern an: Auf der einen Seite schuften Menschen tag und nacht und verdienen gerade mal einen Hungerlohn, und auf der anderen haben welche eine Position, in der sie kaum schwer arbeiten und doch Unmengen an Geld (also der angeblichen Meßgröße für „Leistung“) verdienen. So sieht die Realität aus.

Man mag nun diese schnöde empirische Argumentation damit abtun, daß man dem allen widerspricht und behauptet, sicher, vereinzelt möge das momentan ja stimmen, könne aber durch entsprechende Regulierungen behoben werden. In Wahrheit aber hält das Leistungsprinzip in einer rein marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft nicht nur der Empirie, sondern auch der Theorie nicht stand, und zwar gleich in zweierlei Hinsicht: zum einen nämlich in Hinblick auf die Lohnarbeit als Gegenleistung für in Anspruch genommene Leistungen, sowie zum anderen im Hinblick auf die Ergebnisorientierung des Marktes.

Mit dem ersten Punkt meine ich folgende Problematik: Nehmen wir an, jemand würde die Dienstleistung einer Krankenpflegerin in Anspruch nehmen und diesen dafür aus seinem Lohn bezahlen, welchen er für die Entwicklung von Software für eine Rüstungsfirma erhält. Hier stellt sich die Frage: Was, realwirtschaftlich betrachtet, hat die Krankenpflegerin für einen Nutzen von der Arbeit des Softwareentwicklers? Sie hat nur insofern einen Nutzen davon, als daß sie sagen kann: „dieser Mensch hat für meine Leistung selbst etwas geleistet“. Dieser „Nutzen“ ist aber rein virtuell. Real hat der Softwareentwickler nichts geleistet, was der Krankenpflegerin in irgend einer Weise materiell oder sonstwie etwas gebracht hätte. Insofern hat er gerade keine Gegenleistung erbracht, außer in Form des Geldes — welches in einem System mit Grundeinkommen aber genau im selben Maße von ihm zu ihr geflossen wäre.

Man könnte freilich sagen: Gut, der Softwareentwickler mag der Krankenpflegerin keinen direkten, doch aber einen indirekten Nutzen gebracht haben. Es ist dies allerdings wohl sehr anzuzweifeln, sobald die Arbeit eine ist, die weniger der (realen) Gesellschaft zugutekommt als einer wirtschaftlichen Entität wie dem Staat oder einer Firma; oder wenn sie gar von so einer Natur ist, daß sie nur der Aufrechterhaltung der Arbeitsmaschinerie selbst dient — und machen wir uns jeder neoliberalen Rhetorik zum Trotz nichts vor: Die meiste Arbeit fällt gerade in eine dieser beiden Klassen.

Das führt uns direkt zum zweiten Punkt, der Ergebnisorientierung im freien Markt. Produkte werden vom Kunden in einem funktionierenden Markt für einen Preis gekauft, der ihrem Wert für den Kunden entspricht. Ebenso wird ein Angestellter nach dem Wert des Ergebnisses seiner Arbeit bezahlt. Dieser Wert wird aber einerseits nicht gesamtgesellschaftlich gemessen, sondern stets in Bezug auf den Arbeitgeber; andererseits ist er losgelöst von der Mühe, die in der Arbeit steckt. So kommt es, daß der eine Mensch, der sich vom Morgen bis zum Abend mit aller Kraft unter den widrigsten Umständen abmüht, weniger bezahlt bekommen kann als der, der in einem wohlgeheizten Büro in angenehmer Atmosphäre verhältnismäßig leichte Denk- und Verwaltungsaufgaben übernimmt. Das heißt: Nirgends ist hier das Leistungs-Prinzip realisiert, sondern es handelt sich vielmehr um ein Ergebnis-Prinzip. Deshalb ist auch ein gewisser Slogan einer gewissen politischen Partei so zynisch: Es ist gar nicht die Leistung, die sich nach deren Vorstellungen „wieder“ lohnen soll (wo auch immer das Wörtchen „wieder“ in diesem Kontext herrühren mag), sondern das wirtschaftliche Ergebnis der Leistung.

Insofern ist es also sogar doppelt unangebracht, davon zu sprechen, in unserem System würden Leistungen mit Gegenleistungen erkauft. Die Absurdität geht aber noch wesentlich weiter als nur bis hierhin.

Das absurde Geschrei nach dem Recht auf Arbeit

Aus der neoliberalen Ideologie ersteht unmittelbar die Forderung nach einem Recht auf Arbeit. Der Gedankengang ist einfach: Wenn nur für eigene Leistung eine fremde Leistung genutzt werden darf, dann muß auch jeder die Möglichkeit erhalten, Leistung zu erbringen, weil sonst die Teilnahme an der Gesellschaft nicht mehr für alle ermöglicht werden kann.

Eine direkte Konsequenz des Rechts auf Arbeit ist, daß es stets ein großes Drama geben muß, wenn eine Firma sich im Untergang befindet. Rein marktwirtschaftlich gedacht, ist der Untergang eines Unternehmens nichts per se Schlechtes: Leistet die Firma nichts mehr, wofür die Gesellschaft zu zahlen bereit ist, hat sie ihren Zweck in der Volkswirtschaft und damit ihre Existenzberechtigung verloren. Die Arbeitsverwalter aber betonen wie in nahezu jedem anderen Kontext auch stets nicht das Volks-, sondern das Individualwirtschaftliche: Menschen verlieren durch die Auflösung einer Firma ihre Arbeit — also muß der Steuerzahler einspringen und ihr Gehalt bezahlen.

Das ganze Spiel ist für einen Außenstehenden natürlich vollkommen lächerlich, ja geradezu satirisch. Eine bestimmte Arbeit wird nicht mehr gebraucht — aus realwirtschaftlicher Sicht müßte man sich unheimlich darüber freuen! Schließlich bedeutet ein unnötig gewordener Arbeitsprozeß ja, daß die Gesellschaft jetzt die Möglichkeit hätte, jedem ihrer Mitglieder ein bißchen mehr Freizeit zu spendieren. Was wird aber stattdessen getan? Die, die noch Arbeit haben, müssen im Gegenteil für die Erhaltung der Arbeit bezahlen, das heißt: sie müssen mehr arbeiten, damit andere auch mehr arbeiten dürfen.

In der Dualität zwischen Individual- und Volkswirtschaft liegt die Lösung

Der Grund für das Funktionieren dieses absurden Prozesses, der einer gewissen Komik nicht entbehrt, ist, daß die von der Propaganda des Kapitals indoktrinierten Menschen in unserer Gesellschaft stets nur individualwirtschaftlich denken und die reale Volkswirtschaft außer Acht lassen. Was nämlich durchgehend unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, daß jeder von uns vom Funktionieren der ganzen Gesellschaft abhängt. Jedes individuelle Stück Erfolg wird zu einem Teil von allen anderen in der Gesellschaft gespendet. Was wäre der Informatiker, wenn der Computer nicht erfunden worden wäre, was der Automobilhersteller ohne den Straßenbauer, den Tankwart, den Reifenhändler? Es gibt eben de facto keine reine Individualwirtschaft, sondern nur eine in die Gesellschaft eingebettete, individuell scheinende Situationswirtschaft.

Die Fixierung auf die (virtuelle) Individualwirtschaft hat zur Folge, daß ein Anwuchs des Volksreichtums ebensowenig den individuellen Wohlstand verbessert, wie ein Anwuchs der Produktivität durch Automatisierung einen positiven Einfluß auf die Freizeit des einzelnen Menschen hat. Was in beiden Fällen stattdessen passiert, ist, daß das Volk Güter und Dienstleistungen überproduziert, die dann an den Rest der Welt teuer verkauft, oder wie im Falle der Landwirtschaft einfach weggeworfen werden.

Der primäre Effekt ist offenbar, daß die Menschen von dem von ihnen selbst erwirtschafteten allgemeinen Wohlstand nichts haben. Das ist an sich bereits ungerecht. (Wir erinnern uns: Angebliche Gerechtigkeit ist das Hauptargument für die Beibehaltung dieses Systems.)

Es gibt aber noch einen sekundären, global gesehen sogar fataleren Effekt: Ein Volk, das überproduziert, überstrapaziert auch die natürlichen Ressourcen, wobei zusätzlich Müll und Abgase anfallen. Wenn einige sagen: „Die Gesellschaft kann sich keine Müßiggänger leisten“, dann ist darauf zu erwidern: Vielleicht, aber vor allem kann sich die Erde keine Übereifrigen leisten. Wer darauf hinweist, daß jeder Müßiggänger Kosten für die Gesellschaft erzeuge, den sollte man seinerseits darauf hinweisen, daß das auf jeden Arbeitenden genauso zutrifft. Nicht umsonst ist es so schwierig, beim Thema Umweltschutz alle unter einen Hut zu bringen: Schließlich gefährdet jede Umweltschutzmaßnahme, jedes Zurückdrehen industrieller Produktion den heiligen Volkswohlstand.

Das Grundeinkommen als Bindeglied zwischen Gesellschaft und Individuum

Die Idee des Grundeinkommens ist es nun, die Brücke zwischen Individual- und Volkswirtschaft zu schlagen, indem jeder einzelne am Volkswohlstand gleichermaßen beteiligt wird, und zwar bedingungslos. So wird das institutionalisiert, was ohnehin wahr ist, bei uns aber bislang nicht gewürdigt wird: die Abhängigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft wie umgekehrt. Wer mit seinem eigenen Wohlstand nicht zufrieden ist, muß eben in entsprechendem Maße arbeiten gehen. Damit macht er (wie heute) zugleich die Gesellschaft reicher, was (im Gegensatz zu heute) wieder positiv im Grundeinkommen auf ihn zurückschlägt. Wer mit einem einfacheren Leben zufrieden ist, zehrt vom Volkseinkommen und schont die Umwelt, indem er minimalen Ressourcenverbrauch verursacht, was ebenfalls einen Dienst für die Gesellschaft darstellt. So soll sich ein sinnvolles, gesundes Gleichgewicht zwischen Wohlstand, Muße und Nachhaltigkeit einstellen.

In der Diskussion um ein Grundeinkommen geht es letztlich nicht darum, jegliche Arbeit abzuschaffen. Das Ziel ist vielmehr, das Wüten des irrationalen Arbeitswahns einzudämmen. Die Arbeit wird nicht auf 0 reduziert, sondern auf ein rationales, für die Welt wie auch für die freie Entfaltung eines jeden Menschen verträgliches Maß gedrosselt — ein Maß, das jeder von uns nur für sich selbst bestimmen kann.