Ich möchte hier zum besseren Verständnis besonders der Eurokrise einen kurzen Überblick über die ökonomischen Zusammenhänge geben, die die Eurokrise verursacht haben und weiter am Kochen halten und am Ende auch meine persönliche Sicht darlegen.

Kurzfassung

  1. Der Sparkurs ist ein Irrweg. Daß mit ihm der griechische Staatshaushalt saniert werden kann, ist ein Irrtum.
  2. Die europäischen Institutionen haben nicht verstanden, wie eine Währungsunion funktioniert. Wenn Deutschland weitermacht wie bisher, scheitert der Euro.
  3. Wenn der Euro scheitert, landet Deutschland in einer tiefen Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit und einem unberechenbaren Loch im Staatshaushalt.

Wettbewerbsfähigkeit und Außenhandelsbilanzen

Export und Import, Außenhandelsbilanzüberschüsse und -defizite

Wenn Länder am Weltmarkt teilnehmen, dann exportieren und importieren sie dort Güter. Ist der Wert des Exports höher als der des Imports, wird also mehr exportiert als importiert, so erzielt die Volkswirtschaft insgesamt einen Überschuß, d.h. das Ausland macht Schulden bei der Volkswirtschaft. Wird umgekehrt mehr importiert als exportiert, so erzielt sie entsprechend ein Defizit und macht ihrerseits Schulden.

Wettbewerbsfähigkeit

Untereinander stehen Länder insofern in einem Wettbewerbsverhältnis. Länder, die gerne einen Überschuß erzielen möchten, müssen sich gegen andere Länder beim Export durchsetzen und dürfen zugleich nicht zu viel importieren. Dafür gibt es verschiedene Mechanismen, von denen allerdings nur eine in der heutigen liberalisierten Weltwirtschaft eine wesentliche Rolle spielt, nämlich den Preis der Waren. Ist auf dem Weltmarkt das Preisniveau einer Volkswirtschaft A niedriger als dasjenige einer Volkswirtschaft B, so hat es A sowohl leichter, seine Waren zu exportieren als auch besteht ein Anreiz für die Teilnehmer der Volkswirtschaft A, bei sich einzukaufen anstatt aus B zu importieren. In diesem Fall sagt man, A sei wettbewerbsfähiger als B oder habe einen Wettbewerbsvorteil gegenüber B.

Preisniveaus, Inflation

Da verschiedene Länder verschiedene Währungen haben können, müssen wir zwischen dem Weltmarktpreis (den wir in einer beliebigen Währung angeben können, z.B. U.S.-Dollar) und dem nominalen Preis in der jeweiligen nationalen Währung unterscheiden.

Betrachten wir zunächst eine einzelne Volkswirtschaft und die in ihr bestehenden nominalen Preise. Das Preisniveau wird praktisch ausschließlich von den Löhnen im Verhältnis zur Produktivität, den sogenannten Lohnstückkosten, bestimmt, da die Löhne, die in die Herstellung and Anbietung eines Produkts fließen, im wesentlichen seinen Preis bestimmen. Steigt die Produktivität um, sagen wir, 2% und die Löhne um 5%, so ergibt sich eine Erhöhung des Preisniveaus von ungefähr 3% (bei solchen relativ kleinen Werten, die nicht weit auseinanderliegen, kommt man auf einen ganz guten Näherungswert, indem man einfach Lohnrunde minus Produktivitätserhöhung gleich Preisniveauanstieg rechnet -- das nennen wir die goldene Lohnregel). Einen Anstieg des Preisniveaus nennen wir Inflation. Das Gegenteil, also eine Situation sinkender Preise, wäre Deflation.

Auf- und Abwertungen

Haben Länder verschiedene Währungen und sind die Wechselkurse zwischen den Währungen flexibel, dann kann eine Währung gegenüber allen anderen seinen Wechselkurs anpassen. Wird eine Währung in ausländischer Währung gerechnet teurer (d.h. eine Einheit kostet mehr Einheiten anderer Währungen als vorher), so nennt man das eine Aufwertung. Der umgekehrte Fall ist eine Abwertung.

Eine Aufwertung der nationalen Währung hat zur Folge, daß die Produkte des Landes auf dem Weltmarkt teurer und dafür die Produkte des Auslandes im Inland billiger werden (da z.B. mehr Dollar für dieselben Produkte der Volkswirtschaft A auf dem Weltmarkt bezahlt werden müssen als vorher, obwohl der nominale Preis in der nationalen Währung gleich geblieben ist). Sie bedeutet also eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit und bedingt ein Verrutschen der Außenhandelsbilanz nach unten. Umgekehrt führt eine Abwertung zu verbesserter Wettbewerbsfähigkeit.

Hat ein Land mit nationaler Währung hohe Wettbewerbsfähigkeit und erzielt permanent Überschüsse, nennen wir die Währung unterbewertet. Andere Länder verspüren dann den starken Druck, ihre Währungen ihrerseits abzuwerten (z.B. durch Verkauf von Fremdwährung oder durch Ankauf der Nationalwährung durch die Zentralbank) wodurch der Unterschied in der Wettbewerbsfähigkeit ausgeglichen wird.

Binnenmarkt, Binnennachfrage, Investitionen

Eine Investition ist das Aufnehmen von Schulden (bzw. der Abbau von Guthaben) mit der Absicht, später mehr zurückzubekommen als man hergegeben hat.

Investitionen werden in einer Marktwirtschaft von Unternehmen getätigt, wenn die Aussicht auf Profit, d.h. auf hinreichende Nachfrage nach dem angebotenen Produkt, besteht. Auch der Staat kann investieren, üblicherweise mit dem Ziel, die Wirtschaft zu beleben oder ein bestimmtes politisches Ziel wie die Energiewende zu erreichen.

Wird viel investiert, so wächst die Produktion an und Arbeitsplätze entstehen. Mangelt es an Investitionen, so „schrumpft“ die Wirtschaft, d.h. die Produktion geht zurück, und Arbeitsplätze gehen verloren, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt. Hält dieser Zustand länger an, so spricht man von einer Rezession.

Staatshaushalt, Saldenmechanik

Die Wirtschaft kann man aus Sicht einer gegebenen Volkswirtschaft in vier Sektoren unterteilen: den Staat, die Unternehmen, die privaten Haushalte und das Ausland.

Die Defizite bzw. Überschüsse der vier Sektoren addiert sich immer zu 0. Daraus ergibt sich logisch zwingend, daß, wenn ein oder mehrere Sektoren einen Überschuß erzielen wollen, z.B. um Wohlstand und Vermögen aufzubauen oder um Schulden zurückzuzahlen, einer der Sektoren ein Defizit aufweisen muß.

Traditionell ist der sich verschuldende Sektor der Unternehmenssektor. In anderen Worten kommen aus dem Unternehmenssektor im Normalfall die Investitionen, die die Wirtschaft und den Wohlstand wachsen lassen.

Wenn es Effekte gibt, die dazu führen, daß der Unternehmenssektor nicht investitionsbereit ist, dann gibt es, soll die Volkswirtschaft nicht schrumpfen und Arbeitslosigkeit grassieren, nur noch den Staat und das Ausland, von denen die nötigen Schulden kommen können, da die privaten Haushalte grundsätzlich kaum politisch vom Sparen abzubringen sind.

Der Außenhandelsbilanzüberschuß entspricht, wie gesagt, einer Verschuldung des Auslands. In Deutschland verschuldet sich das Ausland jedes Jahr mit 220 Milliarden Euro. Das versetzt den Staat und die Unternehmen in die Lage, zu sparen, ohne daß deswegen die Wirtschaft zum Erliegen kommt. (Das ist es, was Kanzlerin Merkel meint, wenn sie von Wachstum ohne Schulden spricht.)

Währungsunionen

Wenn sich mehrere Volkswirtschaften dazu entschließen, eine gemeinsame Währung einzuführen, nennen wir das eine Währungsunion.

Eine Währungsunion zeichnet sich dadurch aus, daß es keine Wechselkurse gibt. Das bedeutet auch, daß Auf- und Abwertungen innerhalb einer Währungsunion ausgeschlossen sind. Folglich bleiben Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit, die durch niedrigere Preise (d.h. durch niedrigere Lohnstückkosten) in einem Land entstehen, bestehen und können nicht anderweitig ausgeglichen werden.

Deflationspolitik, schwäbische Hausfrau, „Kaputtsparen“

Dies können Länder zum Anlaß nehmen, innerhalb der Währungsunion einen Vorteil zu erlangen, indem sie ihre Lohnstückkosten senken. Die Wirtschaftspolitik kann das durch verschiedene Maßnahmen forcieren (ein markantes Beispiel ist die Agenda 2010 unter dem damaligen Kanzler Schröder). Eine solche Lohnpolitik nennen wir Deflationspolitik, weil sie auf Deflation abzielt. Die deflationierenden Länder exportieren damit ihre Arbeitslosigkeit: im eigenen Land werden Güter billig produziert und die Exportgewinne ersetzen oder übertreffen gar die Nachfrage aus dem Inland, die durch die niedrigen Löhne wegfällt.

Da es sich bei der Wettbewerbsfähigkeit um ein Nullsummenspiel handelt, steigen in den übrigen Ländern derselben Währungsunion in der Folge die Arbeitslosigkeit und das Außenhandelsbilanzdefizit, weil die Nachfrage nach Gütern der Volkswirtschaft durch steigende Importe und zurückgehende Exporte sinkt. Die schrumpfende Wirtschaft zwingt den Staat, sowohl fürsorgerisch einzugreifen und mehr Geld in die soziale Absicherung zu stecken als auch mit Investitionen die Wirtschaft am Laufen zu halten, da diese vom natürlichen Investor, dem Unternehmenssektor, mangels Nachfrage zunehmend zurückgehen. Letzten Endes ist der Staat also gezwungen, Schulden zu machen.

Fährt der Staat in einer solchen Rezession dagegen die Ausgaben zurück und erhebt höhere Steuern (besonders auf Konsum), um seine Schulden zu verringern, verstärkt das den Effekt der Rezession: Durch die sinkende Kaufkraft der Arbeitnehmer, die sich daraus ergibt, sinkt die Nachfrage weiter und damit wiederum die Investitionen. Die Wirtschaft schrumpft stärker, die Steuereinnahmen gehen zurück, der Staat muß erst recht wieder für das Sozialsystem Geld in die Hand nehmen, und das staatliche Haushaltsdefizit wächst. Der Staat spart sich kaputt: Sein Sparen beschert ihm nur immer größere Schulden.

Die Eurokrise

Status quo

Seit 2010 befindet sich Griechenland unter der Aufsicht der Troika (IWF, EZB, europäische Kommission). Die Troika gewährt dem griechische Staat Kredite unter Auflagen, die darauf abzielen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und einen staatlichen Haushaltsüberschuß zu erzielen. Die Auflagen laufen auf ein extremes Deflations- und Sparprogramm hinaus.

Die Deflationspolitik trägt Früchte, aber nicht die erhofften: Die Lohnstückkosten sind um über 30% gefallen und liegen inzwischen deutlich unter denen Frankreichs. Zugleich ist das BIP stark eingebrochen und die Arbeitslosigkeit auf grob 25% gestiegen. Entgegen anders lautender Meldungen gibt und gab es nie Anzeichen einer Erholung.

Was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher?

Wenn wir so weitermachen wie bisher, d.h. wenn Deutschland stur dabei bleibt, auf Schulden des Auslands zu setzen, dann wird zunächst die Währungsunion aufgrund der nicht zu haltenden Situation der immer mehr zunehmenden Verschuldung der anderen Euroländer zusammenbrechen. Denn machen wir uns nichts vor: Griechenland ist lediglich die Spitze des Eisbergs. Die gesamte Eurozone befindet sich seit sechs Jahren in der Rezession, ohne Aussicht auf wesentliche Besserung.

Wenn aber die Währungsunion zerbricht, dann steht Deutschland mit seiner neuen Währung (egal, wie diese dann heißt) im wesentlichen allein da. Diese Währung wird gegenüber den restlichen Euroländern massiv aufwerten. Selbst, wenn wir ignorieren, daß die Schulden des Auslands voraussichtlich dann nach und nach platzen werden und damit viel Vermögen in Deutschland vernichtet werden wird, wird die Aufwertung in einer Situation, in der in Deutschland der Binnenmarkt aufgrund niedriger Löhne schwächelt und die Unternehmen gewohnt sind zu sparen statt zu investieren, zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen. Die Wirtschaft wird aufgrund des Einbruchs der Nachfrage schrumpfen, Arbeitslosigkeit wird grassieren, und der Staat wird in großem Stil Schulden aufnehmen müssen, um die tiefe Rezession zu dämpfen (Schuldenbremse hin oder her – die Neuverschuldung kommt zwangsweise entweder durch höhere Ausgaben oder durch wegbrechende Einnahmen zustande).

Wie ist die Katastrophe zu verhindern?

Das einzige, was die Eurokrise langfristig beenden kann, ist eine Rückbesinnung auf die Frage, was eine Währungsunion ist und was sie bedeutet. Eine Währungsunion funktioniert genau dann, wenn die Preisniveaus der teilnehmenden Länder nicht auseinanderlaufen, d.h. wenn überall die gleiche Inflationsrate besteht. Das bedeutet, daß darauf geachtet werden muß, daß niemand langfristig über, aber auch niemand langfristig unter seinen Verhältnissen lebt.

Im Moment gilt es zuallererst, das gescheiterte Sparprogramm für Griechenland zu beenden und zu einem Investitionsprogramm überzugehen, das diesen Namen auch verdient – die bisherigen Angebote der Troika sind in dieser Hinsicht vollkommen lächerlich. Der griechische Staat hat genug Deflationspolitik betrieben. Jetzt muß er den nötigen Spielraum erhalten, die Wirtschaft anzukurbeln, indem er für den Moment weiter Schulden macht. Das bedeutet im Klartext, daß das Hilfsprogramm erweitert werden muß, bis die Wirtschaft sich erholt hat, und zwar ohne Sparauflagen. Wenn die Troika der Meinung ist, daß der griechische Staat nicht in der Lage sei, selbst für die durchaus ebenfalls noch nötigen Reformen, z.B. den Aufbau einer effektiven Steuerbehörde, zu sorgen, dann darf man sie dabei gern auch mit fachlichem Rat und sonstigen Ressourcen unterstützen.

Zweitens muß Deutschland endlich aufhören, auf seinem Außenhandelsbilanzüberschuß, d.h. auf das permanente Schuldenmachen des Auslands bei Deutschland, zu bestehen. In Deutschland müssen die Löhne kräftig steigen (so etwas wie 5% pro Jahr für die nächsten 10 Jahre wären angemessen – das, was die Gewerkschaften dieses Jahr wieder alle als Erfolg verkaufen, ist angesichts der Situation wirklich lachhaft!). Das würde dem Ausland die Möglichkeit geben, aufzuholen, und den deutschen Arbeitnehmern die Gelegenheit, das, was sie durch harte Arbeit erwirtschaftet haben, endlich auch einmal zu verkonsumieren, anstatt es ans Ausland letztlich zu verschenken (denn was ist ein Kredit, der mangels Einnahmemöglichkeiten vom Schuldner nie zurückgezahlt werden kann, anderes als ein Geschenk?).